Interdisziplinäres Zentrum für
Bewegungs- und Sportmedizin
Wuppertal e.V.
Die Programmierte Sporttherapie (PST) ist eine besondere Form der Trainingstherapie, die optimal an die Bedürfnisse einer seltenen Erkrankung angepasst ist und versucht die körperliche Situation der Patienten zu verbessern. Obwohl mittlerweile zahlreiche Studien die positiven Einflüsse von gezieltem Training auf die Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität von Personen mit Hämophilie aufzeigen und bewegungstherapeutische Maßnahmen einen festen Bestandteil in den Behandlungsrichtlinien darstellen, haben viele Betroffene durch unterschiedlichste Gründe keine Möglichkeit an einer solchen Bewegungstherapie teilzunehmen. Häufig fehlt es an wohnortnahen Angeboten oder spezialisierter therapeutischer Betreuung. Mit der Einführung der PST für Patienten mit Hämophilie sollte diesen Gründen entgegenwirkt werden.
Die PST wurde durch ein interdisziplinäres Team aus Ärzten sowie Sport- und Physiotherapeuten für Patienten mit Hämophilie entwickelt und kombiniert ein angeleitetes Gruppentraining mit einem selbstständig durchzuführenden aber betreuten Heimtraining. Das Gruppentraining wird in Form von Bewegungs- und Sportcamps durchgeführt, welche zwei Mal im Jahr über 3,5 Tage stattfinden. Die Sportcamps werden dazu genutzt gemeinsam und im Rahmen der individuellen Möglichkeiten sportlich aktiv zu sein. Die Patienten werden sowohl in praktischen Einheiten als auch theoretischen Seminaren angeleitet optimal und zielgerichtet unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse zu trainieren, um die eigene physische und psychische Situation zu verbessern. Über individualisierte Trainingspläne, die gemeinsam mit dem Patienten im Sportcamp erstellt werden, wird das Heimtraining gesteuert, sodass jeder Patient zu Hause selbstständig weiter trainieren kann. In der Phase des Heimtrainings bis zum nächsten Sport- und Bewegungscamp stehen Therapeuten und Patienten in ständigem Austausch, um zu motivieren, Fragen zu klären und den Trainingsplan kontinuierlich an die Bedürfnisse des Patienten anzupassen. Das Eigentraining zu Hause wird mit Hilfe moderner Medien durch Sporttherapeuten unterstützt.
Inhaltlich verbindet die PST spezielle Übungen zur Verbesserung der Gelenksituation mit einem allgemeinen Bewegungsprogramm zur generellen Gesunderhaltung des Körpers. Einen Erklärungsansatz der therapeutischen Inhalte der PST bildet das integrative Modell der funktionellen Gelenkstabilität nach Lee und Vleeming (2000). Das Modell umfasst die Elemente Bewusstsein, motorische Kontrolle, aktive Stabilität und passive Stabilität. Diese Elemente bieten einerseits einen direkten therapeutischen Zugang zum problematischen Gelenk selbst, anderseits stehen sie in enger Wechselwirkung zueinander.
Die therapeutischen Inhalte stehen übergeordnet unter dem Ziel, die individuelle Belastbarkeit des Körpers zur Verrichtung alltäglicher Arbeiten zu erhalten bzw. zu verbessern. Dabei liegen die Therapieschwerpunkte inhaltlich in der Schulung der Körperwahrnehmung sowie dem Training des Bewegungsapparates als auch im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems (siehe Abb.).
Aus unserer Sicht eröffnet die Schulung der Körperwahrnehmung und damit die Optimierung des Körperschemas den wirkungsvollsten Einstieg in die Sporttherapie bei Personen mit Hämophilie. Die verbesserte Wahrnehmung des eigenen Körpers und damit auch das Bewusstwerden von Haltungen und Bewegungen erleichtern das Einüben und Erlernen von motorischen Übungen bei einer die passiven Strukturen entlastenden Körperhaltung. Nach dem bewussten Zugang zum Gelenk kommen Mobilisationstechniken zur Erhaltung bzw. Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit zum Einsatz. Über tonusregulierende Maßnahmen sollen am Ende jeder Trainingseinheit bestehende Muskelspannungen gelöst werden. Hierzu eignen sich sanfte Dehnungs- und Entspannungstechniken. Neben diesen Basis-Übungen kommen muskelaktivierende Maßnahmen zur Schulung der Kraft und Koordination in den Therapiestunden zum Einsatz.
Zusätzlich sollen über ein regelmäßiges, individuell dosiertes Ausdauertraining das Herz-Kreislauf-System und der Muskelmetabolismus angesprochen und dadurch die Herzfunktion und in der Folge die körperliche Belastbarkeit verbessert werden. Der Stoffwechsel wird angeregt, was unter anderem mit einer besseren Versorgung der Muskulatur sowie der Gelenke und somit auch des Knorpels einhergeht. Daneben sollen überflüssige Pfunde abgebaut werden, welche immer eine Zusatzbelastung für die Gelenke darstellen. Dies soll in Form von Radfahren auf dem Hometrainer, Nordic-Walking, Gangschulungen, Aquajogging, aber auch über höhere Wiederholungszahlen während des Krafttrainings bei gleichzeitig geringer Intensität umgesetzt werden. Die in den letzten Jahren im Rahmen der PST eingesetzten therapeutischen Methoden und Techniken haben sich als effektiv, sensitiv und individuell adaptierbar erwiesen. Die Inhalte der PST lassen sich an jeden Anspruch, jedes Alter und jeden Grad der körperlichen Einschränkung anpassen. Darüber hinaus lässt sich das Konzept der PST auf Grund seiner einzelnen Bausteine zielgerichtet auch auf andere seltene Erkrankungen übertragen.
Das Zahnradmodell der Programmierten Sporttherapie für Personen mit Hämophilie - Bewegungs- und Sporttherapeutische Inhalte