Interdisziplinäres Zentrum für
Bewegungs- und Sportmedizin
Wuppertal e.V.
Epidemiologische Studien konnten vielfach die Bedeutung von körperlicher Bewegung hinsichtlich der Prävention verschiedener Erkrankungen belegen. Durch das Sporttreiben kann präventiv dem Auftreten verschiedener Erkrankungen, wie z.B. Herz-Kreislauferkrankungen, vorgebeugt werden. Die Sinnhaftigkeit des Sports geht aber über die normale Vorbeugung hinaus, eine fokussierte Sporttherapie kann im Sinne der Rehabilitation gezielt Leiden mindern.
Blutererkrankte (Hämophile) wurden bis in die 60er Jahre von den Möglichkeiten ausgeschlossen, körperliche Bewegung als Mittel der Prävention bzw. Rehabilitation zu nutzen. Noch vor gut 30 Jahren wurde von jeglicher Betätigung, die nicht zwingend zur Bewältigung des Alltags erforderlich war, abgeraten. Sport war nahezu verboten. Es galt die Auffassung, dass bei Hämophilie Inaktivität die beste Prophylaxe zur Vermeidung von Gelenkblutungen ist. Folgen der Inaktivität können jedoch dramatisch sein. So kommt es in Folge der Inaktivität zu einer mangelhaften Ausbildung einer kräftigen und gut koordinierten Skelettmuskulatur, welche die Voraussetzung für einen optimalen Schutz der Gelenke darstellt. Die resultierende muskuläre Dysbalance in Verbindung mit muskuloskeletaler und koordinativer Dysfunktion führen zu Fehlbewegungen, welche das Auftreten von Gelenkblutungen begünstigen und somit zur Entstehung der hämophilen Arthropathie beitragen.
Untersuchungen über die Folgen körperlicher Inaktivität bei Hämophilen stellten folgende Defizite gegenüber gesunden Kontrollpersonen aufzeigen:
Das Wissen um diese Zusammenhänge führte zum Umdenken in den darauffolgenden Jahren. Mit der Möglichkeit und ausreichender Verfügbarkeit von Substitutionspräparaten Anfang der 60er Jahre, begann der vorsichtige Versuch körperliche Aktivität auch bei Hämophilen zuzulassen und im weiteren sogar als Notwendigkeit zu erachten. Neben dem selbständigen Sporttreiben ohne Anleitung und Kontrolle war häufig die Krankengymnastik die einzige Möglichkeit einer präventiven bzw. rehabilitativen Behandlung.
Heute besteht ein Konsens über die Sinnhaftigkeit ausgewählter körperlicher Aktivität auch bei Hämophilen, sodass ein durch geschulte Übungsleiter geführtes Sporttreiben empfohlen werden kann. Eine adäquate, auf das spezifische Krankheitsbild ausgerichtete Trainings- oder Sporttherapie, wie sie sich beispielsweise bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen seit Jahren etabliert hat, ist bis heute allerdings noch nicht Bestandteil der adjuvanten Behandlung von Hämophilen. Gerade die Unklarheit über genaue Trainingsinhalte, -methoden und –formen sowie deren Auswirkungen bei hämophilen Patienten stellen Schwierigkeiten in der diffizilen Gestaltung und Durchführung einer zielgerichteten Sporttherapie dar. Trotz dieser Hindernisse kommt der Sporttherapie in jüngster Zeit eine immer größere Bedeutung zu. Die Vorteile liegen unter anderem in dem nachhaltigen positiven Transfer geschulter motorischer Fertigkeiten auf die Alltagsmotorik und dem Einfluss der Gruppendynamik auf die Stärkung der Sozialkompetenz. Aktive sporttherapeutische Maßnahmen können zudem das Selbstbewusstsein des Patienten erheblich verbessern und dadurch zu einer anderen Schmerzwahrnehmung beitragen.
Wir sehen eine gute Möglichkeit, die Sporttherapie Personen mit Hämophilie nutzbar zu machen, insbesondere zur gezielten Verbesserung der Gelenksituation. In einer Arbeit von Hilberg (2001) konnte nachgewiesen werden, dass bei hämophilen Personen im Gegensatz zu Personen ohne Hämophilie das Nerven-Muskel-Zusammenspiel deutlich eingeschränkt ist. Erfreulicherweise konnte die Studie aber auch belegen, dass durch Training eine Verbesserung dieser Fähigkeiten auch bei hämophilen Personen ermöglicht werden kann. Die Funktion eines qualitativ guten Nerv-Muskel-Zusammenspiels, kurz Koordination oder im eingeschränkten Sinne Propriozeption genannt, ist notwendig, um eine optimale Gelenkprotektion, d.h. einen optimalen Gelenkschutz zu gewährleisten.
Köberlein-Neu J, Runkel B, Hilberg T. (2018). Haemophilia.
Hilberg T. (2018). Orphanet Journal of Rare Diseases.